Tuesday, September 11, 2012

"Wir waren zur falschen Zeit am falschen Ort"

Giorgos Papakonstantinou veröffentlichte als griechischer Finanzminister das wahre Staatsdefizit seines Landes – und löste damit die Krise aus. Würde er das noch mal tun?
ZEIT ONLINE: Herr Papakonstantinou, bedauern Sie Entscheidungen, die sie als griechischer Finanzminister getroffen haben?
Giorgos Papakonstantinou: Ich bereue nicht die großen Entscheidungen. Die Verbesserung unserer Wettbewerbsfähigkeit etwa oder das Vorhaben, dass wir unser Staatsdefizit in den Griff bekommen müssen. Es sind eher kleinere Beschlüsse, die ich bedauere.
ZEIT ONLINE: Als Mitglied der Regierung Papandreou haben Sie im Jahr 2009 beschlossen, die falschen Haushaltszahlen der Vorgängerregierung zu korrigieren und zu veröffentlichen. Für viele war das der Moment, an dem die Euro-Krise ihren Anfang nahm. Wann haben Sie sich zu diesem Schritt entschieden?
Papakonstantinou: Es war keine Entscheidung als solche. Schon vor den Wahlen war jedem klar, auch der Europäischen Kommission, dass die Zahlen der Regierung stark von den wahren Zahlen abwichen. Als wir wenige Wochen nach der Wahl den Haushalt aufstellten, bekamen wir schnell ein Gespür dafür, wo wir am Ende des Jahres landen würden. Die Beamten in meinem Ministerium, aber auch der Rechnungshof, sagten voraus, dass das Defizit deutlich höher ausfallen würde als zehn Prozent: erst 12,5, später mehr als 15. Als wir alles zusammengerechnet hatten, kamen wir auf fast 16 Prozent. Es war offensichtlich, dass man die Zahlen veröffentlicht musste. Das wahre Bild zu verschleiern, wäre unmöglich gewesen.
ZEIT ONLINE: Waren Sie überrascht oder hatten Sie schon erwartet, dass die früheren Zahlen so erschreckend falsch waren?
Papakonstantinou: Wir wussten, dass die Zahlen höher lagen als die offiziellen Regierungszahlen. Aber wir waren erstaunt, wie groß der Unterschied war. Selbst die 12,5 Prozent, die wir der Euro-Zone im Oktober 2009 meldeten, war höher, als wir es erwartet hatten.
ZEIT ONLINE: Gab es damals jemand am Kabinettstisch, der vorschlug, die schockierenden Zahlen weiter zu verheimlichen?
Papakonstantinou: Nein, es gab niemanden. Wenige Tage vor unserem Wahlsieg am 4. Oktober 2009 kam der Gouverneur der griechischen Zentralbank in mein Büro. Er zeigte mir Zahlen seiner Fachleute für die ersten zehn Monate. Demnach war das Defizit bereits im Oktober bei zehn Prozent. Und jeden Monat stieg es um einen Prozentpunkt. Vor solchen Zahlen können Sie nicht wegrennen.
ZEIT ONLINE: Die Veröffentlichung der Zahlen war nicht nur ein politisches Manöver, um reinen Tisch zu machen und die alte Regierung im schlechten Licht dastehen zu lassen?
Papakonstantinou: Ich hätte doch ein viel einfacheres Leben gehabt, wenn das Defizit nur ein wenig höher gelegen hätte, sagen wir acht Prozent. Diese Zahlen aber waren ein böser Schock. Ich hätte mir sehr gewünscht, dass sie nicht wahr sind. Aber sie waren es. Die Ausgaben waren extrem unterschätzt und die Einnahmen überschätzt, viele Posten tauchten im Haushalt gar nicht auf. Jedes Land, das transparent wirtschaften möchte, muss mit solchen Dingen aufräumen.
ZEIT ONLINE: Haben Sie erwartet, dass die Veröffentlichung der Zahlen einen solchen Schock an den Finanzmärkten auslösen würde?
Papakonstantinou: Nein. Wir glaubten, dass wir durch unsere Willensbekundung, das hohe Defizit zu bekämpfen, Zeit gewinnen würden. Die Märkte aber haben überreagiert, und ich denke, dafür gab es zwei Gründe. Zum einen hatten die Investoren das griechische Risiko massiv unterschätzt. Noch Monate zuvor waren sie glücklich darüber, dem griechischen Staat Geld leihen zu können – und zwar zu Zinsen, die nur geringfügig höher waren als die deutschen. Zum anderen nahmen die Märkte nach unserer Veröffentlichung die gesamten Schulden und Defizite in der Euro-Zone stärker wahr. Wir waren mit unserer Ankündigung einfach zur falschen Zeit am falschen Ort.
ZEIT ONLINE: Aus heutiger Sicht betrachten viele Griechen die Pasok-Reformen des Jahres 2009 als Fehler. Haben Sie recht?
Papakonstantinou: Wenn es um die Sanierung des Haushaltes geht, kann niemand behaupten, wir hätten unseren Job nicht gemacht. Wir haben das Primärdefizit, also das Defizit ohne Zinszahlungen, um acht Prozent in zwei Jahren verringert. Das hat bisher kein anderes europäisches Land geschafft. Was die strukturellen Reformen angeht, ist es natürlich leicht zu sagen, wir hätten nicht genug getan. Aber die Reformen, die wir 2010 und 2011 geplant haben – die Marktliberalisierungen, die Reform der Steuerverwaltung – hätten bereits in den vergangenen zehn bis 15 Jahren stattfinden müssen. Dennoch hat uns auch die OECD zuletzt bescheinigt, das Land zu sein, das von allen Industrieländern am schnellsten reformiert.
ZEIT ONLINE: Wenn man die Vorgaben aus Europa in Betracht zieht: Gab es damals eine Alternative zum Sparkurs?
Papakonstantinou: Alle Beteiligten am ersten Griechenland-Programm standen unter gewissen Zwängen. Es gab in einer Reihe von Staaten, darunter Deutschland, große Bedenken, mit der No-bail-out-Regel in den Europäischen Verträgen zu brechen. Das Programm für Griechenland war dementsprechend hart und es sollte zeigen, dass Ländern nur unter strikten Bedingungen geholfen wird. Im Rückblick waren die ursprünglich vereinbarte Rückzahlperiode und der Zinssatz sicherlich zu hoch. Die Tiefe der Rezession, die durch den Sparkurs ausgelöst wurde, lässt sich allerdings nicht nur mit den einschneidenden Sparmaßnahmen erklären.
ZEIT ONLINE: Sondern?
Papakonstantinou: Ein Problem war sicherlich die Entscheidung von Deauville, als Deutschland und Frankreich vereinbarten, die privaten Gläubiger bei einem möglichen Schuldenschnitt zu beteiligen. Das war kurzfristig das falsche Signal. Die griechischen Zinsaufschläge waren zwischenzeitlich wieder gefallen, danach stiegen sie wieder, auch Portugal und Irland mussten unter die Rettungsschirme. Was in Griechenland geschieht, hat auch immer etwas damit zu tun, was außerhalb Griechenlands passiert.
ZEIT ONLINE: Nun hat Griechenland eine neue Regierung, die mit einem neuen Plan zu Werke geht. Ist sie auf dem richtigen Weg?
Papakonstantinou: Ich bin glücklich, dass Samaras eine komplette Wendung vollzogen hat. Ich bin froh, dass die Regierung sich zur Konsolidierung bekannt hat und kein populistisches Monster in Griechenland schaffen will.
ZEIT ONLINE: Was sollte Europa tun, wenn der nächste Bericht der Troika negativ ausfällt?
Papakonstantinou: Der Bericht wird positiv ausfallen, auch wenn er Kritik enthalten wird. Er wird sicherlich nicht jenen in die Hände spielen, die einen negativen oder einen nicht so enthusiastischen Report nutzen werden, um die Hilfen für Griechenland einzustellen. Ich denke, dass viele in Europa unterschätzen, welche Mechanismen in Gang kommen, wenn ein Land die Euro-Zone verlässt oder dazu gezwungen wird, auszutreten. Das wäre in meinen Augen das Ende der Euro-Zone an sich.
ZEIT ONLINE: Griechenland sollte also auf jeden Fall im Euro bleiben – egal was passiert?
Papakonstantinou: Natürlich nicht. Aber wenn ein Land objektiv mehr Zeit braucht, um sein Defizit zu reduzieren, dann sollten wir Wege finden, um das zu ermöglichen. Griechenland hat viel getan und wird auch künftig viel tun. Aber wir brauchen Zeit und möglicherweise etwas mehr Geld, um die Arbeit zu vollenden.
ZEIT ONLINE: Verstehen Sie denn die Deutschen, denen die Geduld ausgeht?
Papakonstantinou: Deutschland war eines der Länder, das am stärksten vom Euro profitiert hat. Und wenn Deutschland Griechenland jetzt Geld leiht, ist das Geld ja nicht weg. Deutschland erhält sogar Zinsen. Wenn die Euro-Zone dagegen zerbricht, wird Deutschland viel Geld verlieren. Es ist wichtig, sich klarzumachen, dass wir momentan in einer Negativ-Spirale festhängen. Solange wir die Unsicherheit über einen möglichen Euro-Austritts Griechenlands nicht beseitigen, kann kein neues Geld ins Land fließen. Solange Investoren nicht sicher sein können, ob die Euro-Zone intakt bleibt, bringt all das, was die griechische Regierung tut, nicht viel.
zeit.de
11/9/12

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