Angst bei den europabegeisterten Polen: Die Rede von Regierungschef Tusk
klingt wie ein Abgesang auf eine gute alte Zeit. Die Überzeugung, man
baue in der EU an einer besseren Zukunft, sei heute tot.
Von Gerhard Gnauck
Auch bei den
europabegeisterten Polen hat die Skepsis begonnen, streckenweise sogar
die Angst um Europa: Das war die Botschaft einer Rede von Premier Donald Tusk. Tusk nahm am Donnerstag im neuen Kopernikus-Wissenschaftszentrum am Ufer der Weichsel in Warschau an einer Europadebatte teil.
Einer der
Mitwirkenden war EU-Kommissionschef Jose Manuel Barroso. Tusk hatte erst
kürzlich klargestellt, er werde nicht für ein Brüsseler Amt
kandidieren, obwohl große Teile der EVP-Fraktion ihn gerne als
Barroso-Nachfolger gesehen hätten.
Die Rede des
studierten Historikers Tusk klang wie ein Abgesang auf eine gute alte
Zeit, die unwiderruflich zu Ende gegangen ist. Der Imperativ der
Einigung des Kontinents, wie er nach dem Krieg und den zwei totalitären
Systemen spürbar gewesen sei, sei "geschwächt, manche meinen, er
schwindet völlig". Jene schlimmen Ereignisse seien für junge Menschen
heute "so weit entfernt wie der Peloponnesische Krieg".
Auch die Epoche
ständigen Wachstums und der Glaube, das könne sich noch wiederholen,
seien zu Ende. Gerade für junge Menschen habe Europa aufgehört, Quelle
der Hoffnung auf eine stabile Existenz zu sein. Hinzu komme der "Kampf
der Kulturen" in den Vorstädten europäischer Metropolen. Europa sei
heute also in mehrfacher Hinsicht geteilt, was ein "neues Narrativ"
notwendig mache.
"Optimistischer Skeptiker"
Der Liberale
Tusk beschrieb seine Haltung als "optimistischen Skeptizismus": "Ich
glaube nicht, dass schlechtere Welten kommen müssen. Aber ich glaube
nicht so recht, dass eine ideale Welt erreichbar ist." Die Überzeugung,
man baue in der EU an einer besseren Zukunft, sei heute tot, die
Illusionen seien vorbei.
Die großen
Erzählungen des 20. Jahrhunderts, ob revolutionär oder evolutionär,
hätten "jeglichen Glanz verloren". Den siegreichen Kräften von 1989 –
Tusk kommt selbst aus der Oppositionsbewegung gegen die Diktatur - sei
es auch nicht um eine neue Utopie gegangen, sondern um die Rückkehr zu
bewährten alten Ideen, zur Volksherrschaft.
Die EU sei zwar
ein Raum des Friedens und des Kompromisses, wo "Solidarität ein nicht
immer praktizierter, aber immerhin deklarierter Grundsatz ist". Die
europäische Einigung sei wertvoll. "Aber wir hier in Warschau definieren
dafür kein finales Ziel."
"Es gibt solche,
die einen großen Sprung machen wollen und mithilfe radikaler
politischer Entscheidungen schnell einen einheitlichen europäischen
Staat schaffen wollen. Sie haben gute Absichten. Aber vergessen sie,
dass der Plan vom großen Sprung den Utopien des 20. Jahrhunderts
gefährlich nahe kommt? Er kann dazu führen, dass sich die Europäer
endgültig von der Idee des geeinten Europas abwenden."
"Unser heutiges Europa ist miserabel"
Auch die
Stimmen, die ein "karolingisches Europa" wollten und die EU "auf einen
exklusiven Club reduzieren", seien gefährlich. Wer einen engeren Club
gründe, der schließe immer jemand aus. Das war offenbar eine Anspielung
auf eine noch engere Integration der Eurozone. Derzeit will die Mehrheit
der Polen den Zloty behalten, und die Mehrheitsverhältnisse im
Parlament lassen eine Euro-Einführung vor 2019 fast unmöglich
erscheinen.
Die Lösung für
die heutige Krise sei, "Verantwortung für das Europa zu übernehmen, das
wir kennen, nicht für das, von dem wir träumen." Tusk wandelte
Churchills Worte über die Demokratie ab: "Unser heutiges Europa ist
miserabel. Aber ein besseres hat noch niemand erfunden."
Für den Osten
der EU komme das heutige Europa immer noch fast einem Wunder gleich.
Tusk warnte zugleich vor denen, die Europa nur als losen Staatenbund
wollten. "Das bedeutet den Marsch in den Zerfall" (der Gemeinschaft).
11/7/13
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